Bei wem sind Staaten eigentlich verschuldet und wem geben die Schulden Macht?
Ein Leser hat mir eine Frage zu Staatschulden gestellt, bei der mir aufgefallen ist, dass er wohl nicht einzige ist, der sich solche Fragen stellt. Daher will ich hier leicht verständlich erklären, wie der Handel mit Staatsanleihen funktioniert, bei wem die Staaten verschuldet sind und wie man damit (politische) Macht ausüben kann.
Staatsanleihen funktionieren sehr einfach: Ein Staat gibt eine Anleihe heraus, auf der steht, dass die Anleihe eine bestimmte Summe wert ist, die zu einem Tag X zurückgezahlt wird, und pro Jahr bestimmte Zinsen abwirft. Dieses Wertpapier wird von einem Geldanleger gekauft und er kann es weiterverkaufen oder auch nicht. Einmal pro Jahr kommt der derzeitige Besitzer der Anleihe zum Staat und lässt sich die Zinsen auszahlen. Und am Ende der Laufzeit kommt der aktuelle Besitzer der Anleihe zum Staat und bekommt den Wert der Anleihe zurückgezahlt.
Das klingt einfach und ist es auch. Aber wie immer sind die interessanten Details etwas komplizierter und das will ich an einem vereinfachten Beispiel aufzeigen.
Der ideale Kredit
Stellen wir uns vor, Sie wären ein Staat und ihr Dorf wäre der weltweite Markt bestehend aus anderen Staaten (also ihren Nachbarn) und Banken und so weiter. Wenn Sie Geld brauchen, dann schreiben Sie einfach ein Stück Papier (die Anleihe) aus und schreiben darauf: „Diese Anleihe hat einen Wert von 1.000 Euro und läuft zehn Jahre. Dem Besitzer der Anleihe zahle ich an jedem 1. Oktober ein Prozent Zinsen.“
Und dann kommt jemand, der kauft das Stück Papier und gibt Ihnen 1.000 Euro. Nun müssen Sie nur noch einmal pro Jahr demjenigen, der Ihnen die Anleihe am 1. Oktober vorlegt, ein Prozent Zinsen, also 10 Euro in die Hand drücken und sie haben wieder ein Jahr Ihre Ruhe.
Nach zehn Jahren aber, wenn die Anleihe fällig wird, haben Sie keine 1.000 Euro, um sie demjenigen, der die Anleihe vorlegt, zurückzuzahlen. Also schreiben Sie ein paar Tage vorher wieder ein solches Stück Papier aus und lassen sich von jemand anderem die 1.000 Euro geben, die Sie am 1. Oktober für die alte Anleihe zurückzahlen müssen.
Im Grunde müssen Sie die 1.000 Euro also niemals zurückzahlen, Sie müssen nur einmal im Jahr 10 Euro Zinsen zahlen´ und alle zehn Jahre jemanden finden, die Ihnen wieder 1.000 Euro gibt, damit sie die alte Anleihe zurückzahlen können.
Das Problem
Natürlich ist das sehr bequem und Sie werden versucht sein, mehr solcher Papiere zu verkaufen, denn leichter kann man ja nicht zu Geld kommen.
Stellen wir uns nun vor, Sie verdienen 35.000 Euro netto pro Jahr. Zehn Euro pro Jahr zu bezahlen, ist kein Problem. Das sehen Sie so und die Geldgeber auch. Aber wenn Sie nun so viele Anleihen ausgeben, wie es die Staaten im Westen tun, und sich dabei mit einem Mehrfachen ihres Jahreseinkommens verschulden, dann sieht es anders aus.
Nehmen wir also an, sie haben sich mit dem Dreifachen Ihres Jahreseinkommens verschuldet und haben schon 100 solcher Papiere verkauft. Dann müssen Sie jedes Jahr schon 1.000 Euro an Zinsen bezahlen. Das ist auch noch kein wirkliches Problem.
Aber Sie müssen auch ständig neue Papiere verkaufen, um die auszubezahlen, die jedes Jahr zu Ihnen kommen und ihre alte Anleihe wieder zurückgeben. Da liegt der Hase im Pfeffer
Der Klugscheißer
In Ihrem Dorf ist nämlich jemand aufgetaucht, den man im richtigen Leben Ratingagentur nennt. In unserem Beispiel nennen wir ihn Klugscheißer, denn das passt besser.
Der Klugscheißer kommen jeden Tag in die Dorfkneipe und erzählt allen, er wüsste ganz genau, welcher Ausgeber von Anleihen in Gefahr schwebt, seine Anleihen nicht mehr zurückzahlen zu können. Der Klugscheißer zeigt dazu lange Tabellen, aus denen er irgendwas berechnet haben will. Und aus diesen Tabellen, so der Klugscheißer, geht hervor, dass Sie leider nicht mehr allzu liquide sind.
Daher sollte jeder, der bei Ihnen in Zukunft eine Anleihe kauft, nicht ein Prozent Zinsen nehmen, sondern fünf. Das nennt man Risikoaufschlag und den hat der Klugscheißer mit seinen Tabellen errechnet.
Und nun haben Sie ein Problem, denn die neuen Anleihen kosten Sie nun nicht mehr 10 Euro pro Jahr an Zinsen, sondern 50. Wenn Sie nun mit den Jahren für alle Ihre hundert Anleihen neue Anleihen ausgeben müssen, um die alten zurückzubezahlen, dann bezahlen Sie demnächst nicht mehr 1.000 Euro pro Jahr an Zinsen, sondern 5.000. Das wird bei Ihrem Einkommen von 35.000 Euro langsam zu einem Problem.
Die Interessen des Klugscheißers
Das blöde an der Sache ist nämlich, dass der Klugscheißer der Nachbar ist, mit dem Sie sich seit Jahren um den Apfelbaum an Ihrer Grundstückgrenze streiten. Daher will der Klugscheißer Ihnen eins auswischen und erzählt in der Kneipe jeden Abend, dass es immer schlechter um Sie bestellt ist und dass man bei Ihnen eigentlich schon zehn Prozent Zinsen nehmen müsste.
Das führt dazu, dass sie ein echtes Problem bekommen, denn nun werden die Zinsen so hoch, dass Sie schon neue Anleihen aufnehmen müssen, nur um die Zinsen zu bezahlen. Und nach einiger Zeit haben Sie nicht mehr 100 Anleihen „draußen“, die bei einem Prozent Zinsen insgesamt 1.000 Euro an Zinsen pro Jahr kosten, sondern es sind nun 120 Anleihen, die bei zehn Prozent Zinsen plötzlich 12.000 Euro an Zinsen pro Jahr kosten.
Der Klugscheißer fordert nun von Ihnen Gehorsam in der Streitfrage mit dem Apfelbaum (und vielleicht auch noch bei anderen Themen), sonst erzählt er demnächst in der Kneipe etwas von 15 Prozent für Ihre Anleihen.
Sie sind erpressbar geworden. Aber eben nicht durch die, die Ihre Anleihen halten, also Ihre Gläubiger, sondern es kann Sie ein dahergelaufener Klugscheißer erpressen, weil er es geschafft hat, dass das ganze Dorf ihm zuhört.
Das muss nicht einmal Ihr Nachbar sein, mit dem Sie sich um den Apfelbaum streiten. Es reicht, wenn Ihr Nachbar mit dem Kluscheißer besser befreundet als Sie und schon haben Sie ein Problem.
Wie man alles verlieren kann
Noch problematischer wird es, wenn jemand, der mit dem Klugscheißer gut befreundet ist, ein Auge auf Ihr Haus geworfen hat. Der kann den Klugscheißer dazu bringen, dass der Sie durch seine schlechten Prognosen über Ihre Finanzen so sehr in Verruf bringt, dass Ihre Schulden und Ihre Zinsen so lange steigen, bis niemand mehr Ihre Anleihen kauft, weil die Leute Angst bekommen, ob sie die 1.000 Euro, die Sie zurückzahlen müssen, überhaupt noch irgendwoher bekommen.
Um zumindest einen Teil ihres Geldes zu retten, sind Ihre Gläubiger nun bereit, die Anleihen zum halben Preis zu verkaufen und dann schlägt der Typ zu, der Ihr Haus haben möchte. Er kauft die Anleihen und kommt am Zahltag zu Ihnen. Sie können aber die alten Anleihen nicht zurückkaufen, weil Ihre neuen Anleihen niemand mehr kauft.
Daher kommt der Typ, der Ihr Haus haben will, mit dem Gerichtsvollzieher vorbei und wirft Sie aus Ihrem Haus, weil Sie Ihre Schulden nicht bezahlen können. Er hat Ihr Haus im Ergebnis für einen geringeren Wert bekommen, als es wert ist.
Das zeigt ein Beispiel: Ihr Haus ist 100.000 Euro wert. Da der Klugscheißer aber Ihre Reputation zerstört hat, mussten Sie zusätzliche Anleihen ausgeben und haben nun 120.000 Euro Schulden. Der Klugscheißer hat Ihre Anleihen aber zum halben Preis gekauft, also für 60.000 Euro. Am Ende hat er damit für Ihr Haus, das 100.000 Euro wert ist, nur 60.000 Euro bezahlt. Als Dank wird der Typ, der Ihr Haus haben wollte, dem Klugscheißer ein Bier ausgeben.
Übrigens sind Sie komplett ruiniert, denn Sie haben nicht nur Ihr Haus verloren, sondern immer noch 20.000 Euro Schulden. Ihre Schulden betrugen 120.000, das Haus hat aber nur einen Wert von 100.000, weshalb Sie dem Hausräuber sogar noch Geld schulden.
Was das in der Realität bedeutet
So läuft es auch bei Staaten und der Klugscheißer sind im richtigen Leben die Ratingagenturen, die entscheiden, welcher Staat welche Risikoaufschläge zahlen muss. Da die Ratingagenturen in den USA sitzen, müssen die USA, obwohl sie exorbitant verschuldet sind und ihre Verschuldung im Eiltempo wächst, nur geringe Zinsen zahlen. Die USA sind mit fast 27 Billionen Dollar verschuldet, dem stehen Steuereinnahmen des Staates von 6,4 Billionen gegenüber. Trotzdem zahlen Sie für 10-jährige Anleihen nur etwas mehr als ein Prozent Zinsen.
Russland hingegen hat Staatschulden in Höhe nur etwa 50 Milliarden Euro, während seine Steuereinnahmen bei etwa 270 Milliarden Euro liegen. Trotzdem liegt die Verzinsung russischer Staatsanleihen an der Börse bei etwa sieben Prozent.
Hinzu kommt, dass die USA keine nennenswerten Reserven haben, Russland hingegen hat bei seiner Zentralbank und den stattlichen Fonds über 600 Milliarden Dollar auf der hohen Kante.
Man sieht also, dass die Zinsen, die in erster Linie auf den Angaben der Ratingagenturen basieren, ein Machtinstrument sind, mit dem jedem Staat, der den USA gegenüber ungehorsam ist, das Geld entzogen werden kann.
In den EU-Staaten, die den USA gegenüber gehorsam sind, beträgt die Pro-Kopfverschuldung etwa 28.000 Euro, in Russland nur knapp über 1.000 Euro. Trotzdem haben die EU-Staaten ein besseres Rating als Russland und müssen weniger Zinsen für Ihre Anleihen bezahlen als Russland, wie diese Karte des Länderratings einer der wichtigsten Ratingagenturen zeigt.
Beispiel Griechenland
Als die Ratingagenturen den Daumen über Griechenland gesenkt haben, lag die Schuldenquote Griechenlands bei 110 Prozent des BIP. Griechenland wurde von den Ratingagenturen für de facto bankrott erklärt und seine Staatsanleihen wurden wertlos. Die Anleihen hat dann die EU mit ihren Institutionen zum Nennwert gekauft. Das bedeutet, dass sie trotzdem den vollen Preis für die Anleihen bezahlt hat und die Banken, die die Besitzer der Anleihen waren, somit trotzdem die volle Summe bekommen haben, obwohl die Anleihen nichts mehr wert waren. Daher war das keine „Griechenlandrettung“, sondern eine „Bankenrettung“.
Dann hat die EU zu Griechenland gesagt, dass es nur frisches Geld bekommt, wenn es seine Sahnestücke (Flughäfen, Häfen, staatliche Energieversorger und so weiter) privatisiert. Da das schnell gehen musste, haben die Griechen nur einen Bruchteil des Kaufpreises erzielen können, den die Unternehmen wert waren. Ausländische (natürlich vorwiegend westliche) Konzerne haben sich so die Filetstücke der griechischen Wirtschaft zum Schleuderpreis unter den Nagel gerissen.
Heute behaupten die Ratingagenturen, Griechenland sei saniert. In Wirklichkeit ist die Schuldenquote Griechenlands aber dank der „Griechenlandrettung“ von damals 110 auf über 200 Prozent explodiert und liegt derzeit bei etwa 190 Prozent.
In Wirklichkeit wurde Griechenland nicht saniert, es wurde ausgeraubt.
Um es in unseren Beipiel zu erklären: Die Nachbarn wollten Ihr Haus und haben sich mit dem Klugscheißer zusammengetan und es sich genommen.
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