Das Altern von uns Menschen ist nicht schön, und in den allermeisten Fällen mit allerlei Problemen versehen, die aber vorhersehbar und leider normal sind. Man liest und hört ja so manches zum Thema Krankheiten, Pflege, Betreuung und dann kommt irgendwann der Zeitpunkt, da ist Schluss mit der Theorie, da ist die praktizierte Wirklichkeit des Pflegealltags angesagt. Und die hat meinen Sohn und mich, mit der Betreuung meines Bruders in Nürnberg eingeholt. Wir sind von Nürnberg weit entfernt und können weitestgehend nur über Telekommunikation bei den kleinen Dingen des täglichen Alltags aushelfen. Die eigentliche Pflege müssen die schlecht bezahlten Pfleger im gut bezahlten Pflegeheim leisten.
 
Bereits mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 habe ich mir, getreu dem Prinzip: "Folge der Spur des Geldes und du wirst vieles verstehen", Gedanken über diese Pflegeversicherung gemacht. Ich möchte dieses Thema hier nicht weiter vertiefen, nur soviel: Ich hatte schon 1995 das Gefühl, dass die Institution Familie gesellschaftlich erkennbar immer weiter zurück gebaut wird und dafür die Pflegeversicherung als neues lukratives Geschäftsmodell an Stelle der Familie installiert wurde. Leider haben sich für mein Empfinden im Jahre 2022 alle damaligen Gedanken bewahrheitet. Die Pflegeversicherung war eine gute Geschäftsidee, human ist die allerdings für die zu Pflegenden nicht.

Der Pflegefall meines Bruders hat sich schon seit langer Zeit angekündigt. Mein Bruder hat sich aber theoretisch um jedes Problem in der Welt gekümmert, nur nicht um seine eigenen angekündigten Probleme. Diese Probleme haben ihn aber letztendlich dazu gezwungen Veränderungen durchzuführen ob er das nun wollte oder auch nicht. Nachdem er seine Altbauwohnung im vierten oder fünften Stock nicht mehr über das Treppenhaus erreichen konnte, hat er die Wohnung verkauft und sein bisheriges soziales Umfeld in Darmstadt verlassen. Danach ist er in die Eigentumswohnung seiner Frau gezogen, die sich im fünften oder sogar siebten Stock eines Wohnblocks in Nürnberg befindet, zwar per Aufzug erreichbar, aber auch wieder mit Stufen versehen und keine altersgerechte Lösung. Einen alten Baum verpflanzt man nicht hat mein Bruder noch nie gehört, bzw. mein Bruder macht sowieso alles anders als der Rest der Menschheit und er diskutiert gerne, allerdings nicht über den Mist den diejenigen, die seiner Ideologie nahe stehen verzapfen. Mittlerweile ist er dauerhaft zur Pflege in einer schönen Seniorenresidenz untergebracht und wird mehr und mehr zum Problemfall, weil er macht, nicht was das Pflegepersonal ihm sagt und er meint, man könnte doch über alles diskutieren. Ich fürchte, das wird irgendwann mit der Ablehnung der Pflege in der Seniorenresidenz enden.

Mein Bruder wurde im April 80 Jahre alt, er hat keine Kinder, mittlerweile eine demente Ehefrau und Vorstellungen, die sich nicht mit meinen Vorstellungen decken, aber er ist mein Bruder und ich helfe ihm so gut ich kann. An seiner unangenehmen Situation kann ich allerdings nichts ändern, außer darüber nachzudenken, wie wir das in gleicher Situation handhaben würden.
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