Bensheimer Lebenskunst-Initiator verteidigt Ganser-Auftritt
Bensheim. Auf Anfrage dieser Zeitung hat sich Pfarrer Justus Keller als Initiator der Lebenskunst-Reihe zur Diskussion und der Kritik am Auftritt von Daniele Ganser im Bürgerhaus geäußert.
„Daniele Ganser ist Pazifist, wie ich es als christlich geprägter Humanist auch bin. Ich war als Student in den1980er Jahren auf Demonstrationen der Friedensbewegung unterwegs und bin auch jetzt ähnlicher Überzeugung. Ganser ist gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und für Verhandlungen.“ Das sei auch bei den anstehenden Vorträgen in Bensheim sein Hauptpunkt.
Im Weiteren werde er mit wachem Sinn auf die prekäre Kriegssituation in der Ukraine schauen, werde Putin klar in der Rolle als Aggressor benennen, aber eben auch die Vorgehensweise der USA vor dem Krieg anschauen. Schließlich werde Ganser, gemäß dem vorgegebenen Thema, anregen, „wie wir persönlich friedensfähiger leben können, was die Perspektive haben kann, nun endlich nach einer Zeit der Spaltung, die Menschheitsfamilie neu zu entwickeln“.
Dass dieser Standpunkt mit vier vollen Bürgerhaus-Vorstellungen so große Resonanz zeige, freue ihn. In 20 Jahren habe es bei keinem anderen Referenten eine so hohe Nachfrage in der Region gegeben – es zeige, wie viele Menschen des Krieges überdrüssig seien und im 21. Jahrhundert, „neben der einseitigen Forderung, schwere Waffen zu liefern“, nach neuen Wegen suchten und darin nicht mehr das adäquate Mittel politischer Konflikte sähen, so Justus Keller (Bild).
Bei Ostermärschen kennengelernt
Daniele Ganser habe er über die Ostermärsche, die von politisch eher linken Gruppen organisiert werden, kennengelernt, Seite an Seite mit dem langjährigen Lebenskunst-Referenten Eugen Drewermann, der auch dieses Jahr wieder in der Lebenskunst auftreten werde. Ganser stehe inhaltlich der Position von Sahra Wagenknecht und Richard David Precht nahe. Beide hat Keller nach eigenen Angaben für einen Auftritt in seiner Reihe angefragt.
Dass Ganser in manchen „Gazetten“ (Keller) als Verschwörungstheoretiker bezeichnet wird, passiere mittlerweile unter anderem auch den Lebenskunst-Referenten Rüdiger Dahlke und Eugen Drewermann. „In Zeiten, in denen der Diskurs vernachlässigt wird, geschieht es natürlich eher, dass Referenten, die sich etwas anders positionieren, auffallen und dann auch negativ stigmatisiert werden“, schreibt der Pfarrer.
Die Bewertungen anderer seien zunächst erst einmal die Bewertungen anderer. Und weiter: „Auch so wunderbare Menschen wie Jesus, Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Martin Luther, Nelson Mandela wurden zu ihrer Lebenszeit als ‚Verschwörungstheoretiker’ abgewertet. Mir scheint es doch wesentlich zu sein, sich immer stets ein eigenes Bild zu verschaffen.“
Dass die langjährigen Sponsoren Sparkasse Bensheim und GGEW zu Beginn des neuen Jahres (vorübergehend) ihr Engagement beendet hätten, bedauere er. „Wir haben über viele Jahre ein sehr kooperatives Miteinander gepflegt und gemeinsam eine der erfolgreichsten Vortragsreihen in Deutschland entwickelt. Mit der GGEW AG stehen nach Ganser Gespräche an. Ich wünsche mir dies in absehbarer Zeit auch wieder mit der Sparkasse in Bensheim“, teilt Justus Keller abschließend mit. dr
Dass er hierbei Tatsachen verdreht und sich unter anderem auf eine gekaufte, nicht peerreviewte Studie beruft, ist das beste Beispiel dafür, dass Ganser keineswegs für seine Aussagen, sondern aufgrund seiner mangelhaften Belege in universitären Kreisen nicht mehr ernst genommen wird.
Ebenso sollte die Idee, die USA hätten einen Terroranschlag im eigenen Land zugelassen oder sogar selbst inszeniert, um einen Krieg gegen das rohstoffarme Afghanistan zu führen, spätestens nach dem blamablen Rückzug der US-Streitkräfte im vorletzten Jahr als komplett absurd angesehen werden.
Nun ist es 2023 und das Thema der Stunde ist der Krieg in der Ukraine. Auch hier vernachlässigt Ganser saubere Quellenarbeit zugunsten seiner altbekannten Schablone, die USA seien, wie immer, an allem Schuld.
Ein mutmaßlich von russischer Seite publik gemachtes Telefonat der ehemaligen US-Diplomatin Victoria Nuland aus dem Jahr 2014, in welchem klar wird, dass die USA ein Interesse an der westlichen Orientierung der Ukraine haben (natürlich haben sie das), deutet Ganser so um, dass der gesamte Euromaidan von den USA finanziert und gesteuert wurde.
Eher ein Geschichtenerzähler
Impliziert wird hier, dass nach dieser Ursünde die russischen Reaktionen zwar nicht gutzuheißen, aber immerhin zu verstehen seien. Dass der russische Geheimdienst keine besseren Belege für einen US-Putsch vor der eigenen Haustür veröffentlichen kann, als dieses dekontextualisierte Telefonat, sollte jeden Hobbyhistoriker aufhorchen lassen.
Aber weil Ganser mittlerweile mehr Geschichtenerzähler als Geschichtsforscher ist, kann er dieses Telefonat in einem 90-minütigen Vortrag geschickt als Schuldeingeständnis der USA verkaufen. Ansonsten tritt Ganser in guter Schweizer Manier neutral auf, wenn seine Zuhörer über die normative Bewertung mancher Tatsachen nicht nachdenken sollen.
Gab es ein Versprechen der Nato?
Zum Beispiel redet er viel darüber, ob es ein Versprechen des Westens gab, die Nato nicht zu erweitern (vieles spricht dagegen), die Frage, inwieweit der Bruch einer drei Jahrzehnte zurückliegenden Zusage einen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat rechtfertigt, wird nicht beleuchtet.
In anderen Fällen lässt Ganser widersprüchliche Fakten komplett weg, zum Beispiel, dass ein Nato-Beitritt der Ukraine für die nächsten Jahre „nicht auf der Tagesordnung“ stand (Olaf Scholz) oder, dass die faschistoide Rhetorik, in der Russland sich selbst als Retter des Abendlandes hochstilisiere, eher auf Expansionspolitik als auf das berechtigte Sicherheitsinteresse einer Großmacht hindeutet.
Wer sich weiter mit Ganser beschäftigen will, kann sich gerne durch die zahlreichen Entkräftungen seiner Thesen im Internet wühlen. Ich habe die Veranstaltungen von Lebenskunst Bensheim immer sehr geschätzt und werde auch weiterhin meine Augen nach interessanten Vorträgen offen halten. Nur diesmal sind mir die 30 Euro zu schade.
Anmerkung: Ein Pfarrer der meine Achtung erhält!
Jonas Brossmann
Zwingenberg
Info: Leserbrief-Richtlinien auf der BA-Homepage unter https://www.bergstraesser-anzeiger.de/meinung/leserbriefe-ba.html
Nachtrag:
Einen Tag nach diesem Leserbrief war ein großer Artikel über den Vortrag von Daniele Ganser mit dem Tenor, man rät von einem Besuch ab, was bedeutet, jetzt gehe ich erst recht hin.
Beide Seiten des Meinungsspektrums haben gute Gründe
„Wirbel um Ganser-Auftritt im Bürgerhaus“ und „Auch Jesus und Gandhi wurden zu Lebzeiten abgewertet“, BA vom 14. Januar
Daniele Ganser war mir bisher kein Begriff. Seine Ansichten zum 11. September kenne ich deshalb nicht. Probleme habe ich mit der Bezeichnung „Verschwörungsideologe“ (Beratungsnetzwerk Hessen).
Das Thema Krieg in der Ukraine verdient eine differenzierte Betrachtung. Wie komplex das Thema ist, lässt sich an der Wandlung der Haltung der Grünen seit Ausbruch des Krieges sehen. Zunächst war nur die Lieferung von Helmen erlaubt. Die Lieferung von Waffen verbot sich laut Anna-Lena Baerbock aufgrund „unserer Geschichte“.
Die stärksten Befürworter
Mittlerweile sind die Grünen die stärksten Befürworter der Lieferung von Leopard-Panzern. Inwieweit sich „unsere Geschichte“ in den vergangenen zehn Monaten geändert haben soll, erschließt sich mir nicht. Aber ich gestehe den Entscheidungsträgern zu, angesichts dramatischer Umstände verunsichert zu sein und dementsprechend mühsam ihren Weg zur Entscheidung zu finden.
Beide Seiten des Meinungsspektrums, sowohl die radikalpazifistische als auch die der Befürworter des bedingungslosen militärischen Vorgehens, haben gute Gründe für ihre Haltung.
Die Gründe dafür finden wir zum Teil in unserer Geschichte. Die pazifistische Haltung hat sich damals als Versagen gegenüber dem Hitler-Regime diskreditiert, das Dritte Reich wurde nur durch militärische Stärke beseitigt. Nur: Gilt diese Haltung dem Pazifismus gegenüber auch noch heute, angesichts des Nuklearwaffenarsenals des Kriegsgegners?
Volker Bucher
Vortrag von Daniele Ganser Erhellend, aufklärend, Frieden stiftend
Erhellend – aufklärend – verbindend – Frieden stiftend: All das war der Vortrag von Daniele Ganser in der Bensheimer Lebenskunst-Reihe. Erhellend, weil er erklärt, wie die Manipulation der Menschen durch unsere Massenmedien funktioniert. Aufklärend, weil er aufzeigt, wie es überhaupt zum Ukraine-Krieg kommen konnte. Verbindend, weil Krieg und gesellschaftliche Spaltung nur im Diskurs miteinander überwunden werden können.
Denn wir alle gehören zu einer Menschheitsfamilie. Frieden stiftend, denn Achtsamkeit ist nach Herrn Ganser ein wichtiger Schlüssel, mit dem es gelingen kann, aus der Angst auszusteigen und in den inneren Frieden zu gelangen.
Denn wenn wir Frieden wollen, müssen wir zunächst Frieden in uns schaffen, in dem wir lernen, achtsam umzugehen mit unseren Gedanken, vorgefassten Meinungen und Projektionen.
Wenn wir im Frieden mit uns sind, dann ist es auch die Welt um uns herum, denn die Welt ist nur ein Spiegel unseres Inneren.
Dr. Gerhard & Beate A. Schmitt
Auf die wenigen Rufer in der Wüste hören
Daniele Ganser hat gesprochen, viermal im jeweils ausgebuchten Bürgerhaus Bensheim. Wenn man die Topics seines Vortrages betrachtet, könnte man meinen: über den Ukrainekrieg, dessen Entstehung er als Historiker sehr detailliert dargelegt hat.
Aber im Grunde ging es um mehr. Am Beispiel der aktuellen Ereignisse wurde in Erinnerung gerufen, wie Fakten zu Informationen verarbeitet werden, wie das menschliche Gehirn diese Informationen aufnimmt, und welche Fehler- und Manipulationsmöglichkeiten diesen Weg steinig machen.
Es genügt, Falsches so häufig zu wiederholen, bis wir es als Tatsache abspeichern (postfaktisch), ein kompliziertes Gesamtbild solange zu vereinfachen, bis ein abgeschliffenes Gut gegen Böse übrigbleibt, und Ängste zu schüren, die den Verstand ausschalten und das Gefühl belasten.
Immer mehr Menschen misstrauen ihren manipulierbaren Geschmacksnerven, und möchten genau wissen, was sie ihrem Körper zuführen. Warum nehmen wir dann immer wieder kritiklos die geistige Nahrung an, die unserem Verstand vorgesetzt wird?
Wir sollten aufhören, die Abendnachrichten unserer bevorzugten Medien in geistigen Filzpantoffeln entgegenzunehmen, das Oberflächliche meiden, von Informationsversorgten zu Fragenden und Suchenden zu werden.
Nicht im Gleichschritt folgen
Die Zuhörer seines Vortrages brauchte Daniele Ganser nicht zu überzeugen – sie haben in den vergangenen drei Jahren gelernt, eher auf die wenigen Rufer in der Wüste zu hören, als im Gleichschritt der weiterziehenden Karawane zu bleiben. Man ist nicht automatisch auf dem richtigen Weg, wenn man mit der Mehrheit marschiert.
Mein Bedauern gilt den verschiedenen Institutionen und Sponsoren, die im Vorfeld dieser beiden Abende durch kleingeistige Kommentare aufgefallen sind.
Mein Respekt gilt dem Organisator Justus Keller. Mein Dank Daniele Ganser als Verteidiger der Achtsamkeit.
Michael Frohs
Zwingenberg
Wir sollten alle „Selbst-Denker“ sein
Justus Keller und seinem Team von der „Lebenskunst“ ist es einmal mehr gelungen, mit dem Historiker Daniele Ganser einen hochkarätigen Referenten zu gewinnen.
Dass dieser Referent in Teilen der Öffentlichkeit und auch im Rahmen der Vorberichterstattung zu seinen Vorträgen äußerst kritisch beäugt wird, verwundert an sich nicht sonderlich: Denn Daniele Ganser vertritt eben nicht vermeintlich plakativ-einfache und alleingültige Meinungen der Kategorie „Gut – Böse“ zum Zeitgeschehen, die nach dem Wunsch unserer Eliten die einzigen Wahrheiten darstellen sollen.
Nein, Daniele Ganser zeigt als Historiker langjährige Entwicklungen auf, hinterfragt, wägt ab und stellt die Ergebnisse seiner Recherchen ohne erzieherische Effekte und Anspruch auf „alleinige Wahrhaftigkeit“ als seine eigene Meinung vor. Er ermuntert auf diese Art und Weise sein Publikum, die „Wahrheiten“ des Mainstreams ebenso mit einer gewissen Distanz kritisch zu reflektieren.
Raus aus der Komfort-Zone
Und genau das ist eine seiner Empfehlungen zur „Lebenskunst“: Wir brauchen kein „betreutes Denken“, wir alle sollen bitte „Selbst-Denker“ sein! Er holt uns damit aus der uns suggerierten Komfort-Zone – und das kommt wohl nicht bei allen Menschen gut an.
Ganz falsch scheint Daniele Ganser damit aber mit seinem Anliegen nicht unterwegs zu sein: Es hat wohl in der Vergangenheit kaum eine Veranstaltung der Lebenskunst-Reihe mit vier Vortragsterminen und weit über 2000 Besuchern gegeben – es scheinen sich wohl also doch sehr viele Menschen einen sachlichen, fakten-basierten und undogmatischen öffentlichen Diskurs zu wünschen, der in diesen sonderbaren Zeiten leider immer weniger möglich ist.
Ralf Vesper
Bensheim
Die „Achtsamkeit“ mündete vor allem in Vorwürfen
Großes Erstaunen! Eine ganze Seite im BA zum Thema Ganser, dem Abspringen von Sponsoren und kontroverse Leserbriefe und zwei Tage nach dem letzten Vortrag nur ein kurzer Leserbrief, in dem es vor allem um die Einnahmen und ihre Verwendung geht.
Ich war beim letzten Vortrag dabei, um mich persönlich zu informieren, fand ein überwiegend begeistertes Publikum vor – voller Saal – und war erstaunt über die – sicher auch polarisierenden – Informationen, die meisten mit nachprüfbarem Hintergrund. Dass die „Achtsamkeit“ dann vor allem in Vorwürfen und Roten Karten mündete, gefiel mir nicht. Aber es war halt eine andere Sicht.
Zwei Fragen brannten mir die ganze Zeit auf der Zunge; leider konnte ich sie aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nicht stellen. Einerseits: Was würde nach Meinung von Daniele Ganser real passieren, wenn keinerlei militärische Hilfe für die Ukraine mehr stattfinden würde? Und andererseits: Würde er diesen Vortrag auch in einem ukrainischen Flüchtlingslager halten mit anschließender Diskussion – natürlich kostenfrei?
Wirbel trägt zum Bekanntheitsgrad des Referenten bei
Auch wenn man einer Sache nicht zustimmt, so sind Rede und Gegenrede die Grundzüge einer freien Demokratie.
Ich finde es bedenklich, in welcher Art und Weise die Äußerungen des Herrn Ganser unterbunden werden sollen. Menschen, die sich entgegen einer gewünschten Richtung äußern, werden nur in einer Autokratie unterdrückt.
Ich hatte bisher von einem Herrn Ganser noch nie etwas gehört. Jedenfalls trägt der entstandene Wirbel zu seinem Bekanntheitsgrad bei.
Was passiert mit den vielen Eintrittsgeldern?
„Wirbel zu Ganser-Auftritt im Bürgerhaus“, BA vom 14. Januar
In dem Artikel vermisse ich eine kurze Darstellung der Aussagen Gansers, die Anstoß erregt haben und sich womöglich angesichts des angesagten Themas „Krieg in der Ukraine“ zum Skandal ausweiten können.
Zwar wird immer wieder Ganser als „Historiker“ bezeichnet, aber nie gesagt, worin seine historische Arbeit und Leistungen bestehen. Mit welcher wissenschaftlichen Reputation tritt er überhaupt auf?
Vier ausverkaufte Vorträge
Abgesehen von diesen Fragen, die sich mir stellen, interessiert mich noch Folgendes: Vier Vorträge hat er in Bensheim gehalten, viermal im ausverkauften Bürgerhaus mit rund 500 Plätzen zu je 30 Euro Eintritt – da kommen ganz nette Sümmchen zustande.
Was geschieht damit? Werden mit ihnen vielleicht karitative Organisationen unterstützt? Oder Projekte im menschenrechtlichen und naturschützenden Bereich gefördert – oder verschwinden diese Summen ganz sang- und klanglos in irgendwelchen Privatschatullen?
Letzteres würde dem Gesamtthema „Lebenskunst“ eine ganz neue und überraschende Richtung verleihen. Auch die programmatischen Zielsetzungen wie etwa Selbstfindung und Selbstorganisation wären dann neu zu interpretieren.
Joachim Glemann
Gronau
Sammlung zu Daniele Ganser und Justus Keller (Der Friede sei mit ihm)